Rainer                                    Säkulare Sonette

Hengsbach-Parcham

 

Prolog

 

Man weiß ja nie, was wird wohl werden –

ein Unfall, Selbstmord, Messerstecher...;

ein Amokläufer, blinder Rächer...

Was weiß man – bei den Menschenherden?

 

Tagtäglich wird es uns auf Erden

schwerer gemacht zu überleben;

man gängelt auch das kleinste Streben,

wo mal nicht Kriege sich gebärden.

 

Da ist’s wohl besser, schon beizeiten

Vorhandenes zu publizieren,

rechtzeitig euch’s zu unterbreiten –

 

solange man’s noch kann erledigen.

Weiß ich, was moren kann passieren?

Dann plötzlich will ein Pfaffe predigen...

 

 

 

I.

 

Am Anfang war das Wort

 

Man sagt gemeinhin, anfangs war das Wort.

Zwar kann man sich darüber trefflich streiten –

Fakt ist: heut füllt es viel zu viele Seiten;

das Wort vermehrte sich in einem fort.

 

Durch’s Wort gewann der Mensch manch geist’gen Hort;

sein Geist ließ sich durch dieses Wort verbreiten,

und niemand wird den Wert des Worts bestreiten –

denn ohne Wort lebt unser Geist nicht fort.

 

Nun aber hat man folgendes Problem:

Das Wort verkrüppelt, kränkelt vor sich hin;

und auch des Menschen Geist wird recht bequem...

 

Das Wort verliert nicht selten seinen Sinn.

Auch gibt es wenig Hoffnung auf Genesen –

am Schluß: kein Wort mehr, man braucht nicht mehr... lesen.

 

 

Bedenken

 

Ich denke meist in einem Vers -;

ist das normal oder schon krank?

Noch nicht, sagst du? Na Gott sei Dank!

So bin ich also nicht pervers!?

 

Erschwerend kommt jedoch hinzu:

Denk’ ich im Vers, ist’s meist mit Reim,

ob im Büro oder daheim.

Das nimmt mir doch etwas die Ruh’...

 

Wer, wenn er denkt, in Versen denkt,

und dann auch noch in Reimen –

und das dann meist mit Metren bindet:

 

Bei dem scheint doch etwas „verrenkt“ -;

will da am Ende wohl was keimen,

was man in Heimen später findet?...

 

 

Wenn ich in meinem Zimmer sitze

und tapfer leere Seiten füll’ –

dabei auch manchmal ziemlich schwitze,

weil mein Gehirn nicht so ganz will -;

 

und wenn ich seh’, wie blöd die Leute:

in Kästchen denkend und so kurz –

weist man drauf hin, ist’s ihnen schnurz -,

und dafür gut verdienen heute;

 

dann krieg’ ich schon mal Depressionen,

weil ich so recht daneben bin;

und sag’ ich was, ist’s arrogant...

 

Zwar ist die Reaktion bekannt,

ich weiß auch: niemand wird’s mir lohnen;

doch guckt vielleicht mal jemand hin...

 

 

Altersschwach

 

Der Pegasus ist alt geworden –

ein lahmer Gaul mit müden Flügeln...

Wer ihn besteigt, braucht nicht zu zügeln,

kein Temp’rament von wilden Horden.

 

Nur mühsam hebt er ab – gen Norden,

zur Kälte, Eiseshärte hin...

Du fragst nach seines Tuens Sinn –

der alte Gaul ist weise worden.

 

Der Pegasus will nicht mehr hören,

wohin er einen tragen soll...

sein Eigensinn, er kann oft stören –

 

und oft erscheint er alterstoll.

Und doch -: Wenn er denn nicht mehr wäre,

wir spürten deutlich eine Leere.

 

 

Werkstatt statt Werk

 

Nun sitze ich hier und muß warten –

das Auto will nicht laufen:

ich mußte mir eines kaufen;

damit hab’ ich stets schlechte Karten.

 

Jetzt muß ich noch zwei Stunden warten

und habe derweil nichts zu tun.

Ich sitz’ hier, kann nicht einmal ruhn;

ich hoff’ nur, ich kann bald starten.

 

Die Langeweile war allein dran schuld,

daß diesen Quatsch hier ich schrieb,

gewissermaßen als Zeitvertreib...

 

Manch Vers entsteht auch mit wenig Huld

vor der großen Dichtung Getrieb’,

quasi in Großhirns Unterleib...

 

 

Selbstbefriedigung

 

Die eigentliche Kunst ist Ipsation,

ist Selbstbefriedigung des kranken Ich;

denn ist das Ich gesund, wie sehnt’ es sich

normal nach Selbstbefriedigungen schon?

 

Die höchste Selbstbefriedigung heißt Kunst.

Normal die andern stilln den Wunsch nach Glück;

und wer greift gern auf Ipsation zurück?

Sie steht fürwahr nicht hoch in unsrer Gunst.

 

Mit Schnelligkeit rast uns die Zeit dahin;

wir eilen, auch ein’ Zipfel Glück zu haschen.

Befriedigtsein ist unser höchster Sinn,

 

befriedigt -: das heißt auch mit vollen Taschen...

Befriedigung ist eine schöne Sache -:

doch heikel, wer da Selbstbefried’gung mache ...

 

 

Das triste Hotelzimmer

 

Hier sitz ich in meinem Zimmer,

das Zimmer ist teuer und fad...

Fernsehen mag ich nun nimmer,

drum schreite ich getzt zur Tat

 

und schreibe hier diesen Salat,

denn auch lesen kann ich nicht immer -:

und was soll schon dieses Gewimmer?

Ich hab ja den Schreiber parat!

 

Und fehlt auch der Inhalt beträchtlich,

so vertreibt’s einem doch die Zeit,

und es hilft mir über die Runden.

 

Drum blicke nicht allzu verächtlich!

denn mir sind ja die Hände gebunden,

auch bin ich ja hier nicht zu zweit.

 

 

Armutszeugnis

 

Jetzt, wo die Not am größten ist -:

jetzt plötzlich kommen wieder Verse...

Das eben ist ja das Perverse:

Es klappt oft nur bei großem Mist!

 

Zum Glück nicht nur! Das wäre arg!

Es gibt als Anlaß schönre Sachen;

doch meistens sind sie nicht zum Lachen,

oft fehlt das Geld, und das ist Quark.

 

Nur Schreiben kostet noch nicht viel,

ist eine billige Therapie.

Doch fehlt dann oftmals der Effekt;

 

auch kommt sie selten an ihr Ziel -,

gleichwohl, geschadet hat sie nie...

Und manchmal hat sie was geweckt...

 

 

Auf ein Sonett von H.-J. Heise im „Literat“ 9/1997

 

So net!

 

Heises sonett von gewissen Sonetten

macht sicher manch lyrischen Mitläufer froh:

Sie reimten raschrasch (?) Zeile drei auf zwo,

weil sie sonst kaum was zu sagen hätten.

 

Mag sein; ist doch alles schon einmal gedacht,

gefühlt und geschrieben! – Es ist schon fatal...

Was wir machen, ist sowieso epigonal!

Naiv, wer glaubt, er hätt’ „Neues“ gebracht.

 

Doch wenn wir schon nur noch zum Nach-Denken imstand

und glauben aber, wir müßten was sagen,

weil wir nicht still zu sein wagen:

 

dann geben wir dem wenigstens ein bißchen Form!

Das wäre doch schon ziemlich enorm,

da sich an Inhalt nichts Neues mehr fand...

 

 

Das Sonett

 

Du bist gerühmt und viel gesungen worden,

du hast die Wirrnisse der Zeit vertragen,

dir ging es nicht mit Dummheit an den Kragen;

die andern Formen konnt’ man schier ermorden...

 

nun stehst du da als letztes Licht des Alten,

man darf dich ohne rot zu werden schreiben;

doch deine Schwestern wollte man vertreiben,

nur noch das schon Vorhandene verwalten...

 

Ein lebendes Fossil aus alten Tagen,

das uns heut’ zeigt, wie man dereinst gedichtet?

Als Übungs- und als Vorzeig-Form sollst tragen -,

 

derweil der rest der Sippe fast vernichtet.

Unfruchtbar ohne sie, läßt man dich leben –

du hoffst darauf, sie wird sich neu erheben!

 

 

Man hat’s nicht leicht

 

Es ist doch stets mit mir das gleiche:

Bin ich auf Reisen, komme ich zum Schreiben,

komm’ ich nach Hause, lasse ich’s oft bleiben,

weil ich’s vor Kleinkram nicht erreiche.

 

Gleich ob Erzählung, ob Gedichte:

Zu Hause fehlt mir meist die Ruhe;

nichts wirklich kreatives, was ich tue,

wenn ich die Druckvorlagen richte.

 

Ich kann doch deswegen nicht ständig reisen!

Das wäre ja für mich auch viel zu teuer!

Das ganze ist mir daher nicht geheuer.

 

Doch, abgesehen von zu hohen Preisen,

auf Dauer wär’ der Streß nicht auszuhalten;

drum schreib’ ich weniger – und alles bleibt beim alten.

 

 

Zur Eröffnung der Tübinger Lyrikbibliothek 1994

 

Es ist famos, die Library zu haben!

Ich hoff’, sie wird sich lang und glücklich halten,

geführt von Kennern, die mit Sachverstand obwalten,

gefördert mit so manchen milden Gaben!

 

Es wär famos, Ideen umzusetzen,

und wenn es nicht nur bei den Wünschen bliebe;

oft reicht Idealismus nicht, nicht Liebe,

hier muß man manchmal andre Messer wetzen...

 

Die Hoffnung gibt es, Gönner aufzutreiben,

die Hoffnung auf Verwirklichungen!

Wer von dem Plane ehrlich ist durchdrungen,

 

bereis, auch in der Not dabeizubleiben,

dem mag zuletzt doch manche Quelle fließen,

dann mag er seine Lorbeeren genießen!

 

 

 

 

II.

 

 

Form-Fehler

 

Die Formlosigkeit ist die Form des Neuen!

Formlos und frei und ohne jeden Zwang,

Beliebigkeit ist Trumph – mit wird oft bang:

Man wird das alles wohl einmal bereuen!

 

Wer ein Sonett schreibt, muß sich fast schon scheuen;

auch Sprache hat zur Freiheit einen Drang!

Die Ketten sprengen ist das Ziel von Rang!

Der Geist soll sich zwanglos der Freiheit freuen!

 

Doch beugt man sich – freiwillig – größren Zwängen:

fast nur noch Normen, Regeln und Systeme!

High Tech: der Gott, nach dem sie alle drängen.

 

Mit Freiheit hat da niemand mehr Probleme...,

freiwillig läßt man sich in Kästchen zwängen!

Man haßt die Norm – auf daß sie einen lähme...

 

 

Denk-Aufgabe

 

Ich habe ein Problem. Und was für eines!

Ich bin so furchtbar, völlig unmodern!

„Modern“ und „fortschrittlich“ sind mir oft fern,

Verständnis für High Teck hab ich meist keines.

 

Doch Altersphänomen ist dieses keines:

ich bin zu jung, um schon verkalkt zu sein;

ganz andre Zeichen stellten sich dann ein.

Epigonal erscheint das Grün des Haines...

 

Doch dies mit Schwarz-, gar Braunsein zu verbinden,

das zeigt den Mangel im „modernen“ Denken:

Die Logik bricht, und die Stringenz bleibt aus...

 

Zwar kann man Lichtjahre schon überwinden;

doch muß man sich sehr schnell das Hirn verrenken,

stürzt mal was ab – und fordert es heraus...

 

 

Über-Fluß

 

Sonett: Gedicht, kunstvoll, aus alten Tagen;

mit Wohlklang, Rhythmus, Harmonie fürs Ohr;

durch Bau und Dialektik trat’s hervor.

Doch passe es nicht mehr zu heut’gen Fragen...

 

Oft hört man bitterlich die Leute klagen,

daß diese Form im Lauf der Zeit verlor...

Es traten Nöte, schrill und kraß, hervor,

die man nicht könne mehr harmonisch sagen...

 

Doch konnte eine neue Sageweise

moderne Lebensnöte nur beschränken?

Drehn sich die Menschen nicht wie je im Kreise?

 

Nur eine Änderung in ihrem Denken:

der Wunsch nach Harmonie, nach Einklangg schwindet,

die Dissonanz hat man als Ziel verkündet...

 

 

Hirnes Abgesang

 

Der nonsens ist heut’ Maß und Größe!

Mit ihm erobert man die Feste!

Denn: Blödsinn ist das allerbeste –

Da gibt sich niemand eine Blöße...

 

Wo sonst die Hirne schnell versagen -;

mit Nonsens kann man es vertuschen,

daß sie gemeinhin nur noch pfuschen...

Was andres ist schwer zu ertragen.

 

Und auch des Nonsens Qualitäten

verharren oft auf tiefer Stufe...,

gewissermaßen „ ‚dumme’ Witze“...

 

Recht selten, daß der Geist mal spritze

(nach mehr muß man erst gar nicht rufen)...;

im Grunde hilft da nur noch Beten...

 

 

Grundfreiheit

 

Du windest dich vor Schmerzen wie von Sinnen,

dein Leben ist dir nur noch dieses Leiden;

du weißt: dein Tod läßt sich nicht mehr vermeiden,

du kannst dem Schicksal keinesfalls entrinnen.

 

Doch hält man dich gewaltsam noch am Leben,

damit die Christen mit dir Kasse machen;

sie nennen’s „ethisch“, wenn sie dich verlachen,

derweil sie weiter nach Vernichtung streben.

 

Der freie Mensch, als der du seist geboren,

er ist Gerede, nichts als Propaganda;

denn ausgeliefert, alle miteinander,

 

sind wir zum strikten Stillhalten erkoren,

wenn man in eines hohen Gottes Namen

für Geld uns leiden läßt, bis wir zerbrechen – Amen.

 

 

Der Wellenreiter

 

Er reitet auf den Wellenkämmen,

läßt rauschend sich von ihnen tragen,

die hoch über die Fläche ragen,

wo andre sich dagegenstemmen...

 

Er paßt sich an den Wellenlagen,

folgt ihnen, daß sie ihn nicht hemmen

und kann die Wellen leicht durchkämmen,

wo andre sie zu schneiden wagen...

 

Doch ist sein Tun nicht ungefährlich;

er kann leicht einmal dabei fallen,

in jenen Wellen flugs versinken,

 

und jämmerlich darin ertrinken,

in seinem Trachten zu begehrlich.

Er fällt – vergessen schnell von allen.

 

 

Störenfriede

 

Und wenn der Geist tatsächlich fließt

(das tut er ja gewiß nicht immer,

versiegt er, findest du’s noch schlimmer)

und dann sich auf’s Papier ergießt;

 

wenn man mal denkt, ein Einfall sprießt

und stolz ist ob der wahren Tiefe

(obwohl die Welt auch ohne liefe);

selbst wenn man glaubt, daß wer was liest;

 

selbst dann stellt sich die bange Frage,

wozu man sich die Mühe macht:

Denn höchstens Witze will man hören!

 

Mehr Geist braucht man nicht heutzutage:

Dafür hat man den Chip erdacht...;

und mehr kann letztlich nur noch stören.

 

 

Eitelkeiten

 

Nur kurz ist unser Leben,

wir haben nicht viel Zeit;

und reine Eitelkeit

zumeist, wonach wir streben.

 

Nach Glück und Geld wir streben,

persönlich und zu zweit;

und macht sich Unglück breit,

hofft man aufs andre Leben...

 

Nur wenig Menschen streben

nach anderen Genüssen

als nur nach Geld und Küssen:

 

dem geistigen zu leben.

Und die dies tun verlieren:

denn Pöbel darf regieren...

 

 

 

III.

 

 

Oh dieser Mensch!

 

Oh dieser Mensch! Ein Mißgriff der Natur!

Ein Tier reißt Beute, um zu überleben –

und nicht aus Raffgier und aus Machtbestreben.

Solch Grausamkeiten gibt’s beim Menschen nur!

 

Er ist so klein und ist doch so gefährlich! –

geprägt von Kleinmut, Kurzsichtigkeit nur;

und doch voll Größenwahn und Anspruch pur

zerstört er, wo er wirkt, die Welt begehrlich...

 

Nur wenige begreifen die gefahr

und spürn das Leid, das diese Menschen bringen,

die sie mit Aggression und Mißgunst hetzen.

 

Wo einstmals Platz für Geistesgrößen war,

die Menschen heut’ in Kleinmut sich verletzen!

Ein Zarathustra muß noch lange singen!

 

 

Mittag am Teich

 

Die Mittagssonne steht hoch überm Teich;

und ruhig ist’s, nur Vögel hin und wieder

schmettern und schlagen Lieder. Und zugleich

raschelt’ss und Blätter schweben langsam nieder.

 

Ein Entenpaar erscheint am rechten Rand

und zieht gemächlich durch die stille Bläue;

ein Bild, das längst vertraut und wohlbekannt –

und dennoch fasziniert’s mich stets aufs neue!

 

Scheint vielen dieses Bild auch recht gewöhnlich:

Für mich bedeutet’s Friedlichkeit und Ruh’.

Ich seh’ dem Treiben auf dem Teiche zu,

 

derweil sie sich im Alltag ständig stressen,

von Hast und Hektik stets gescheucht, besessen:

Wie sind die beiden Bilder unversöhnlich!

 

 

Sonnenuntergang

 

Der Sonnenfeuerball steht rot

im Wald, von Bäumen aufgespießt,

woran er sacht herunterfließt;

der alte Tag kämpft mit dem Tod.

 

Die Wolken purpur-milchiggrau,

der Himmel rosa-violett;

Flugenten rufen im Terzett,

die gerad noch schwüle Luft ist lau.

 

Der Tag versinkt im Pfuhl der Nachtt,

und Kühle senkt sich über mich.

Die Dunkelheit bemächtigt sich

 

des Lebens, das bald Pause macht.

Und offen ist der nächste Tag,

was wem er wohl dann bringen mag...

 

 

Am Wäldchen

 

Selbst noch in trübem Grau und Regen

wird dieses Wäldchen mir zur Wonne!

Fehlt auch die sommerliche Sonne –

dies Plätzchen ist mir stets ein Segen.

 

Am Waldesrand, an stillen Wegen

die Wiesenblumen aller Sorten,

es summt und surrt hier allerorten:

das ist ein Treiben und ein Regen!

 

Das kräft’ge Grün, die zarten Gräser,

die auch an trüben Tagen freun:

Ich werde es wohl nie bereun

 

mich aufzuhalten hier im Frein;

ich zieh es vor dem Fröhlichsein

bei Rauch und Rausch gefüllter Gläser.

 

 

Ich sitze am Fenster

 

Ich sitze am Fenster

und lese die Zeilen;

und plötzlich ereilen

mich Zukunftsgespenster!

 

Sie packen mich finster,

mir barsch mitzuteilen:

„Es wird euch ereilen...“,

die Zukunftsgespenster...

 

Die Angst ist’s ums Morgen,

um künftiges Leben,

die Angst um die Zukunft der Welt!

 

Es bleibt mir verborgen,

warum wir vergeben

die Chance, die die Hoffnung noch hält.

 

 

 

Kaum ist mehr zu retten,

was Menschen vernichtet,

die niemals verzichtet;

des Wohlstandes Ketten...

 

Was kann man noch retten,

wenn niemand sich richtet

danach, was verpflichtet’,

wenn Einsicht wir hätten...?

 

Ich sitze am Fenster

und lese die Zeilen,

die abermals rütteln mich auf...

 

Hinfort, ihr Gespenster!

Wir müssen uns eilen!

Sonst geh’n wir unweigerlich drauf!

 

 

 

 

IV.

 

 

Sonett vom großen Irrtum

 

ursprünglich wollte ich ja schreiben,

zum Beispiel manche Verse dichten -:

doch darauf muß ich wohl verzichten,

mit Schreiben wird’s bei Briefen bleiben:

 

Anträge, Klage gar betreiben!

Zum Dichten bleibt da Zeit mitnichten!

So kann man Menschen auch abrichten:

auf daß gewohnte Bahnen bleiben...

 

Streng nach gesetz wird da entschieden,

wer alles in denselben wandelt;

Nachdenken wird damit vermieden –

 

und wer nicht in den Bahnen handelt...

Das klappt; so kann man langsam züchten

brave Beschränkte – die andern flüchten.

 

 

Vom Fortschritt

 

I

 

Wozu soll man sich Mühe geben

in einem Land, das man nicht liebt,

in dem das einz’ge, was es gibt,

Karriere ist, nach Wohlstand streben?

 

Wo man in schnelles Geld verknallt,

dem schönen Schein der Macht erliegt –

wenn alles andre auch versiegt.

Was schlecht verkäuflich, läßt uns kalt!

 

Einst war es die Kulturnation,

die von sich reden machte.

Heut’ spricht dem ziemlich alles Hohn,

 

was dies zustande brachte:

Schon werden Dienste nur bestellt,

wenn sie „sich rechnen“ für das Geld...

 

 

II

 

Wozu soll man loyal sich krümmen

in einem Staat, dem man nicht traut?

Wozu, wenn Wichtungen nicht stimmen

der Werte, auf die man ja baut?

 

Der Werte, die auch er vertritt –

jedoch dies meistens nur verbal!

Dann wird es einem eine Qual,

man sucht einmal den großen Schnitt:

 

Und löst sich ab von solchem Staat,

der Industriestaat pur ist,

in dem kein Geist mehr Platz hat –

 

der sich nicht in High Tech mißt...,

wo man in Lachen schon ausbricht,

macht einer einmal ein Gedicht...

 

 

III

 

Jedoch – wohin in dieser Welt?

Was ist davon die Quintessenz?

Globalisierung die Tendenz –

in der der Mensch langsam zerfällt.

 

Wo ist der staat, wo ist das Land,

das hier noch Hoffnung keimen ließ’?

Dies wäre fast ein Paradies!

Mir ist es bisher nicht bekannt...

 

Ein Land, das wie im Märchen wär’!,

das offen nur für Kunst und Geist!,

sowohl von nah wie von weither,

 

wo man im Hick-Hack nicht verschleißt!

Doch solch ein Land wird niemals sein –

Die denken bleiben stets allein!

 

 

Legal vernetzt

 

Es ist soweit! Der Spitzelstaat entsteht

erneut. Dreimal schon während des Jahrhunderts

zog enger er sein Netz – und wenig wundert’s;

wo man doch bloß auf alten Pfaden geht...

 

Auf Nazi- erst, und dann auf Stasi-Trümmern

aufbauend, zu durchleuchten die Vasallen,

die Daten und das Tun von möglichst allen -:

So wollte man sich stets um Ordnung kümmern...

 

Das höchste Ziel: die Freiheit, sie verlor;

das Ziel, dasman so oft so laut beschwor!

Was bleibt: der Trost von zahlreichen Gesetzen,

 

vom Plenum nach Gesetz und Recht beschlossen,

zum Wohl des Staates, heißt es unverdrossen;

und wer nicht mitmacht, muß dies Recht verletzen.

 

 

Abgeschoben

 

Er wurde verfolgt in seinem Land,

in dem eine Diktatur regiert;

er floh, damit ihm kein Leids passiert,

nach Deutschland still und unerkannt.

 

Die Deutschen aber wollten ihn nicht,

sie glaubten ihm nicht ein einziges Wort

und schickten ihn nach einer Haft wieder fort,

auch falls er dann an der Folter zerbricht.

 

Sie schieben sie ab in den Bürgerkrieg,

sie schieben sie ab, und droht auch der Tod –

da gibt es kein Erbarmen:

 

Die Christen; sie glauben an Gott und den Sieg

der Liebe zum Menschen, und spenden für Brot

für die Welt, den Verfolgten und Armen...

 

 

Konsequenz

 

Wo Schönes niemand mehr erbaut,

wo Harmonie als albern gilt,

Brutalität die Medien füllt,

nur Macht- und Geldsucht uns vertraut,

 

man Denken Rechnern delegiert,

wo Sprache Kümmerform nur ist,

wo Aggresion und Hinterlist

uns stets als Maßstab präsentiert:

 

wie will man da denn noch erwarten,

daß Menschen tolerant sich geben,

human sind, helfend und sozial?

 

Wo selbst Behörden hier entarten,

mitmischen im maroden Streben,

wird das Gesetz dem Volk egal...

 

 

Und wieder habt ihr zugeschlagen!

Die braune Brühe spritzt...

Schon wißt ihr, wo der Täter sitzt;

ihm geht es mächtig an den Kragen!

 

Ihr werdet niemals es zulassen,

daß ihr für eure Fehler büßt...

Mit Schmiergeld wird’s denen versüßt,

die mit dem Knüppel nicht zu fassen.

 

Stets handelt ihr treu der Verfassung,

Demokratie sei euer Ziel...,

belügt ihr euer Volk tagtäglich!

 

Doch nennt man eure Unterlassung:

Rechtsbeugung, Willkür – und wie viel! –

ist dies Verbrechen unerträglich!

 

 

Zeitgeisttäter

 

Der Zeitgeist geistert durch die Zeiten;

wer ihm nicht huldigt, wird geschnitten,

nicht nur von Nachbarn, Chefs und Dritten,

auch die Familie flieht beizeiten.

 

Wer nicht mitschwimmt in Zeitgeists Mitten,

wird nicht nur tolerant gemieden,

offne Gewalt wird ihm beschieden –

als Rüpel gegen Recht und Sitten.

 

Doch wird fein säuberlich vermieden,

die solchermaßen Ordnung wahren

als wahre Täter zu entmachten!

 

Denn sie sind’s – das ist klar entschieden -,

die eigentlich man muß verwahren,

weil sie nach Freiheits Leben trachten...

 

 

Dahin

 

Die Träume sind schon längst vergangen –

die Illusionen längst verjagt;

hast du einst kritisch hinterfragt -:

In Kleinkram bist du heut’ verfangen...

 

Du warst agil und voll Verlangen,

Ideen sprühtest du vital,

dein Tatendrang war manchmal Qual -;

was davon blieb, füllt mich mit Bangen!

 

Nun bist du arm – und auch schon alt;

zwar noch vital, doch ohne Geist...

Was dich bewegt, ist nicht das Morgen;

 

für dich zählt nur noch dein Gehalt;

wovon du nächstes Jahr verreist...

Du glaubst dabei, du hättest Sorgen...

 

 

Soziale Errungenschaft

 

Da liegst Du nun mit deinen Höllenqualen,

der Arzt weiß nicht, woran er mit dir ist;

man stellt dich kopf mit lukrativer List –

Das Drama mußt du dafür nicht bezahlen...

 

Doch willst du dich gesund bald wieder aalen,

vertraust auf Hausarzt du und Internist,

dann brauchst du länger als nur Jahresfrist...

Soll sich was tun, mußt du schon selber zahlen...

 

es scheint, als wollte man dich gar nicht heilen

so prompt und bald, wie du es endlich willst;

wozu soll man sich denn auch so beeilen?

 

Will doch der Arzt auch noch etwas bekommen...,

nachdem der Kasse leere Kassen füllst...

Du stöhnst vor Schmerzen – und bist wie benommen.

 

 

Fassadenpoker

 

Fassade zeigen, das ist die Devise!

Es geht dir gut..., kannst du auch kaum noch laufen,

vor Seelennot dir nur die Haare raufen;

du bist stets nobel, hast du auch nur Miese...

 

Kannst du auch kaum das Nötigste dir kaufen,

und knurrt auch stets dir laut der leere Magen,

und möchtest du am Schicksal schier verzagen,

kannst du dich nicht einmal deshalb besaufen:

 

Nach außen bist du stets im Speck die Made,

stets strahlst du, sagst, dich könne nichts verdrießen;

erfolgreich seist du, glücklich, froh im Denken...

 

Doch hast du dann auch Mut noch zur Fassade,

wenn alle Kräfte hierfür dich verließen?

Wer wird dir dann noch einmal Glauben schenken?

 

 

Nullouvert

 

Nun ist es um, das zwanzigste Jahrhundert;

man spricht von Chance und Hoffnungen im neuen.

Doch gleich drei Nullen – kann das denn erfreuen?

Wenn sich was täte, wäre ich verwundert...

 

Der Hang des Hirns zu Nullen ist bedenklich,

der Hang zum Hohlen und der Hang zum Runden...

Beispiele hierfür wären leicht gefunden,

doch ist man dafür weniger empfänglich.

 

Nun haben wir drei Nullen mehr zu schreiben;

dabei; wir hatten schon genug geschrieben –

und nichts geschah; es ist, wie’s war, geblieben.

 

Und dabei wird es sicherlich auch bleiben!

Nur einige in hohen Positionen

erzählen uns: Nun wird der Einsatz lohnen!